Schon seit dem Frühjahr wusste ich durch einen Artikel in meiner Tageszeitung, dass im Ober-Hilbersheimer Museum „Historische Zeit(t)räume“ (großartig das Wortspiel, oder?) eine Sonderausstellung läuft, und zwar „Vergissmeinnicht und rote Rosen – Poesiealben aus mehreren Jahrzehnten. Ich habe mir dieses persönliche Highlight aber ganz bewusst für den November aufgehoben, dann, wenn es kalt, grau und nass sein wird…

Und, war das Wetter, wie von mir erwartet? Nun, es war so außergewöhnlich wie das gesamte Jahr, das sich nun dem Ende zuneigt: Für November deutlich zu warm und so nass, wie seit langem nicht mehr. Bis zum 23. des Monats, bewegten sich die Gradzahlen im milden Bereich, Oleander, Olive und Limettenbaum fühlten sich wohl auf der Terrasse, tja und dann schlug der Winter zu. Ohne Vorwarnung zog eine Eiseskälte über Rheinlandpfalz, die Nächte wurden frostig und in den Höhenlagen sorgte Schneefälle und Glätte für Verkehrschaos.

Als wir uns Anfang des Monats auf den Weg nach Ober-Hilbersheim machten, trugen die Bäume aber noch ihr schönstes Farbenkleid. Ja, uns hat der goldene Herbst mit buntem Laub in den Winter geschickt. Also kein grauer trister November, aber es wurde Zeit, sich auf den Weg zu machen, denn die Ausstellung ist nur jeden 2. Sonntag (14-18 Uhr) zu sehen und das letztmalig am 2. Advent! Ich hoffe, ich kann Sie hier und jetzt so begeistern, dass Sie sich nächsten Sonntag aufmachen und sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, Sie würden wirklich was verpassen, zumal ja auch gleichzeitig der Weihnachtsmarkt stattfindet, der einer der schönsten sein soll in diesem 900 Jahre altem Dorf mit seinen idyllischen Gassen und schmucken Fachwerkhäusern.

Als ich das Museum betrat, wurden meine Erwartungen übertroffen. Welch einen liebevollen gebührenden Rahmen haben die Schatzbücher persönlicher Erinnerungen und gleichzeitig kulturgeschichtlicher Dokumente im Schrothaus gefunden! Dort, in der ehemaligen Mühle, wo seit über 10 Jahren die Geschichte des Dorfes erforscht und mit Begeisterung und Hingabe von ehrenamtlichen Mitgliedern des Museumskreises gepflegt wird.

Ich würde jetzt gern mehr erzählen, von dem was da mit viel Einsatz gesammelt wurde und entstanden ist, aber ich habe ja die Poesiealben zum Thema genommen und nicht die Sammlung aus der Frühgeschichte, den vergangenen Jahrhunderten oder die Nachbildung eines einstigen Tante-Emma-Ladens und einer Schusterwerkstatt. Es fällt mir schwer, zumal ich so freundlich von einem zum Museumskreis gehörenden Ehepaar empfangen und mit allerlei Wissenswertem gefüttert wurde, natürlich auch, was die Anfänge des Poesiealbums betrifft. Aber hier nur kurz, denn Sie werden bei Ihrem Museumsbesuch nächsten Sonntag, Infotafeln darüber finden, wie aus einem Stammbuch ein Freundschaftsbuch wurde.

Also, ihren Ursprung haben sie in den sogenannten Geschlechterbüchern, die dem Nachweis der adligen Abstammung dienten, dann kamen die Stammbücher, die anfangs nur unter Rittern und Adligen üblich waren, aber später auch von Gelehrten, Professoren und Studenten in der Weise geführt wurden, dass sie schriftliche Zeugnisse oder Erinnerungen eintragen ließen und sammelten.

Nahezu 100 Poesiealben hat man durch einen Zeitungsaufruf zusammen bekommen. Das älteste Album ist 150 (!!) Jahre alt. Schmunzelnd, staunend und schwelgend in Erinnerungen versank ich in der Sammlung von bemerkenswerten, kuriosen, schlichten oder rührenden Versen, Gedichten und Zitaten. Beeindruckt hat mich ein Poesiealbum aus der DDR, in das ausgeschnittene Bilder aus Westzeitschriften geklebt waren, wie Palmenstrände und Popstars, und wie gerührt war ich, als ich Sprüche und Glanzbilder aus meinem Poesiealbum wiederfand, wie meinen Lieblingsspruch von meiner Erdkundelehrerin, Frau Sobottka: „Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen!“ oder den lustigsten von Onkel Jürgen: „Wenn Dich die bösen Buben locken, dann bleib Zuhaus und stopfe Socken“-

Haben auch Sie noch Ihr Poesiealbum aufbewahrt? Also meines steht sichtbar in einer Vitrine, neben meiner ersten Puppe namens Bärbel, davor mein erster Füllfederhalter, mit dabei ein Karussell aus Blech, ein Kaleidoskop, die Pucki-Bücher und andere Kostbarkeiten aus meiner Kindheit. Ich war schon immer der Meinung, dass diese Erinnerungen es nicht verdient haben, auf immer in einer Schublade zu verschwinden, und diese mehr als gelungene Ausstellung hat es bestätigt.

Ach, was war das für ein unfassbar schöner Tag im Museum. Mein Dank dafür geht an die Initiatorinnen der Ausstellung, Karin Müller und Herta Dengler und ihren vielen Helferlein und all den Menschen, die erlaubt haben, in ihrem Poesiealbum zu blättern und somit ihre persönlichen Erinnerungen mit mir geteilt haben.

Es wünscht einen guten Start in den Winter
die R(h)eingeschmeckte
im gar nicht so grauen November 2023