Erst die letzten Tage des Februars waren ein meteorologisches Geschenk: Ein Minifrühling, der Hoffnung darauf machte, dass die dunklen Kältetage bald überstanden sind.
Tja, und davor zeigte sich der Monat trübe, schlug auf die Stimmung, und es galt gegen den Winterblues anzukämpfen. Ein jeder weiß, dass ein täglicher Spaziergang Wunder hinsichtlich der Gemütslage bewirkt, und mir fällt es leichter, den inneren Schweinehund zu überwinden und mich auch an Schlechtwettertagen dazu aufzuraffen, wenn ich meinen Fotoapparat dabei habe und mich auf Motivsuche für meinen monatlichen Beitrag mache.
Hmmm..Bilder grau in grau, auf denen der Schein der Sonne fehlt, der die Aufnahmen ins beste Licht rückt und strahlen lässt? Ich musste nicht lang überlegen, welches Ausflugsziel eine solch tragische und grausame Geschichte hat, dass farbenfrohe Fotos gar nicht zu ihm passen würden und gerade diese tristen Stimmungsbilder die passenden Textbegleiter sind.
Die Wernerkapelle ist ein wirklich fotogenes Wahrzeichen des Weinstädtchens Bacharach. Zart und filigran steht die Ruine der einstigen hochgotischen Kirche mit einer grandiosen Aussicht hoch oben in den Weinbergen, auf halber Strecke zur Burg Stahleck. Das Kulturdenkmal trägt den Namen eines Knaben, der mit nur 15 Jahren am Karfreitag 1287 einem jüdischen Ritualmord zum Opfer gefallen sein soll. Schon am Gründonnerstag fing die Qual des Buben an, da einige Juden versuchten, ihn zum Erbrechen der kurz vorher empfangenen Hostie zu bringen.
Am nächsten Tag marterte man ihn bis zum Tode und versteckte ihn in einem südlich von Bacharach gelegenen Feld, wo ihn dann ein Bauer fand. Im Gerichtshaus wurde der mit Wunden übersäte Körper zur Leichenschau gebracht und die Legenden erzählen von wundersamen Erscheinungen. So soll Lichterglanz und Veilchenduft den Raum erfüllt haben, und so kam es, dass die wundergläubige Bevölkerung zu der Überzeugung gelangte, ein heiliger Märtyrer habe den Tod gefunden.
Von nun an breitete sich die Verehrung des Knaben Werner in ganz Deutschland aus, die einst dort stehende kleine Kunibertkapelle hatte für all die Wallfahrer nicht mehr genügend Platz, und so entschloss man sich recht bald nach Werners Tod zum Bau dieses grandiosen Meisterwerks. Eine verheerende Konsequenz, die der bestialische Mord nach sich zog, war die Judenverfolgung in Oberwesel und Boppard, dort, wo man die Täter vermutete. 40 Personen jüdischen Glaubens, darunter Frauen und Kinder, wurden umgebracht, andere Bürger warf man in den Kerker.
150 Jahre dauerte der Bau der Kapelle an, da es immer wieder an den finanziellen Mitteln haperte. Spenden und Ablassgelder reichten hinten und vorne nicht. Eine weitere Sage, die sich um das Gotteshaus rankt ist die, dass die Arbeiten zwischen 1300 und 1307 komplett eingestellt wurden, weil der Erzbischof von Trier sich die Baukasse unter den Nagel gerissen haben soll. Viel davon gehabt hat er angeblich nicht, denn er ist auf seiner Flucht über den Rhein in einen unvermutet aufkommenden Sturm geraten und mit dem Diebesgut untergegangen.
Als man sich im 14. Jahrhundert damit abgefunden hatte, dass die Wernerkapelle wohl unfertig bleibt, kam der Theologe Winand von Steeg und sorgte dafür, dass es weiterging am Grab des Knaben Werner. Ja, der lag da in einem Sarkophag und das, wie man sagt sehr gut erhalten. Die Spendenfreudigkeit des Kurfürsten Ludwig III. von der Pfalz (1410-1436) ermöglichte schließlich die Fertigstellung der Wernerkapelle.
Trotz aller Zeichen und Wunder, die sich an der Stelle ereignet haben sollen, ist Werner zwar vom Volke verehrt aber nie heilig gesprochen worden, nur kurz findet er im 18. Jahrhundert im Trierer Heiligenkalender Erwähnung, aber 1961 radierte man ihn aus. Tja, und mit dem zerstörerischen 30jährigen Krieg, kamen 1620 die Spanier, besetzten die Burg Stahleck und verboten die evangelische Lehre. 1632 scheuchten die Schweden die Südländer hinfort und seitdem wart Werner Leichnam nie wieder gesehen. Kann sein, dass seine Gebeine in Spanien sind, aber so wirklich weiß das niemand.
Ich muss noch mehr Geschichte niederschreiben, denn Sie wollen doch sicherlich wissen, wie die einstige Kapelle voller Schönheit zur Ruine werden konnte. Nach den Schweden kamen die Franzosen, und die hatten nichts Besseres im Sinn als die Burg Stahleck zu sprengen. Die Trümmer fielen auf das Gotteshaus und richteten großen Schaden an. Aufzeichnungen aus dem Jahre 1725 belegen, dass die 21 Fenster keine Scheiben mehr hatten, der Dachstuhl verfault und das Gebäude völlig marode war. Den Rest gab man dem angegriffenen Bau, indem man 1759 den nördlichen Teil mit einem reichen gotischen Figurenportal einfach abriss, weil er von einem Bergrutsch bedroht war.
Tja, und seitdem steht die Ruine unverändert da, und das so was von fotogen, malerisch aber auch mahnend. Ein ehrwürdiges Denkmal aus dem Zeitalter der Romantik, das in dem Ruinenzustand mehr berührt und nachdenklich macht, als wäre es unversehrt geblieben. Natürlich gäbe es jetzt noch viel über die Architektur zu berichten, aber das überlasse ich lieber Fachleuten im Internet, denn da bin ich ein absoluter Laie.
Ja, und so stand ich dann ergriffen und beeindruckt da und fand den trist grauen Himmel einfach nur passend zu der Atmosphäre, den efeubewucherten Steintreppen und Mauern und zu den Worten auf der Gedenktafel zur Erinnerung an die unmenschlichen Verbrechen gegen die jüdischen Mitbürger.
Es ist ein Gebetzitat des Papstes Johannes XXIII, das wachrütteln soll und zu Ehren aller Opfer des jüdischen Volkes vor der Kapelle angebracht wurde. Aber schauen und lesen Sie selbst bei einer Besichtigung dieser gotischen Ruine, vielleicht auch anlässlich eines Konzerts, einer Lesung oder irgendeiner anderen kulturellen Veranstaltung, für die sie heutzutage eine atemberaubende Kulisse ist.
Und sei es auch noch so naiv angesichts der besorgniserregenden Entwicklungen und Ereignisse auf unserer Mutter Erde, so möchte ich an dieser Stelle doch einem Wunsch Ausdruck verleihen, dem Wunsch nach einer friedvollen Welt, in der jeder frei und ohne Angst leben kann.
Die „R(h)eingeschmeckte“ im
Februar 2017