Als im Sommer nach 20 Monaten Sanierungszeit der Mäuseturm endlich „entrüstet“ wurde, war auch ich es und mit dem Binger Wahrzeichen und mir auch nicht wenige Binger Bürger.
In einem völlig anderen Kleid stand er da….keine Spur mehr von dem Turm, der mit seinen roten Zinnen und Fenstersimsen einem Märchenbuch entsprungen sein konnte. Grau-beige ist er nun, und manch einer spricht von vornehmer Blässe, der andere sieht das Wahrzeichen zu einer grauen Maus degradiert.
Tja, der Abschied von dem märchenhaft aussehenden Turm kam ohne Vorwarnung, was mich eigentlich am meisten entrüstete. Oder hab ich da was verpasst? War nicht nur von Schimmelbeseitigung, neuer Heizanlage und frischer Farbe die Rede? Ich weiß es nicht… auf jeden Fall traf mich der erste Anblick unvorbereitet und anscheinend nicht nur mich, sondern auch die gesamte gewerbliche Sparte „Touristik“, denn bis zum heutigen Tag sieht man überall, von Ansichtskarten angefangen bis hin zu Abbildungen im weltweiten Netz, ja selbst auf der offiziellen Internetseite „Tourismus und Kultur“ der Stadt, den Mäuseturm in seinem alten Kleid.
Das Binger Wahrzeichen soll aber heut gar nicht Thema sein….Wieso ich überhaupt von ihm erzähle, wenn ich doch eigentlich über das kunsthistorische Museum am Strom berichten möchte? Nun, ich fragte mich natürlich, wie man auf die neue Farbgebung des Turms gekommen ist und fand die Antwort, dass der Grund in der Historie liege. Das für das komplett veränderte Erscheinungsbild verantwortliche „Landesamt für Denkmalpflege“ wollte den Mäuseturm wieder so haben, wie er sich im 19. Jahrhundert präsentierte, und wie das aussah, entnahm man einem historischen Ölgemälde von Oswald Achenbach (1827-1905). Na, das wollte ich mir genauer ansehen…nein, nicht das Bild, sondern ob es stimmt, dass der gewählte Farbton geschichtsträchtig ist. Also machte ich mich auf an das direkt am Rhein, im denkmalgeschützten ehemaligen Elektrizitätswerk von 1898 gelegene Museum, das die offizielle Bezeichnung „Historisches Museum am Strom – Hildegard von Bingen“ trägt.
Neben der Ausstellung zu der großen Heiligen der Stadt, dem weltweit einmaligen „Binger Ärztebesteck“ und der Dauerausstellung zur Stadtgeschichte gibt’s hier nah am Rhein-Nahe-Eck auch die Möglichkeit, sich in der Abteilung „Rheinromantik“ die Ansicht der Rheinlandschaft in der Vergangenheit anhand von Malereien, Grafiken und zauberhaft illustrierten Büchern zu vergegenwärtigen. Diese Entführung ins 19. Jahrhundert wird mit dem Durchwandern der mit originalem Mobiliar aus der vergangenen Zeit ausgestatten Räume, dem „Salon der Goethezeit“, dem „Biedermeier-Zimmer“ und dem „Gründerzeit-Salon“, gefühlsmäßig verstärkt.
2000 Jahre Kultur und Geschichte am Rhein beherbergt das Museum und, obwohl ich es jetzt schon einige Male besucht habe, entdecke und lerne ich immer wieder etwas für mich Neues und finde Antworten auf meine Fragen. Sei es über die Geschichte der Stadt, dem Leben und dem Land der Hildegard von Bingen oder wie jetzt über das Aussehen des Binger Mäuseturms in der Vergangenheit. Und? Was meinen Sie? Bin ich fündig geworden? Wurde der Plan, das Aussehen des 19. Jahrhundert zu rekonstruieren, erfüllt?
JAWOLL!! Seit ich mich davon überzeugen konnte, freunde ich mich immer mehr mit der neuen Farbgebung des Mäuseturms an. Bin ich doch eine Verfechterin darin, in der heutigen schnelllebigen Zeit kulturell Wertvolles und Geschichtsträchtiges zu bewahren und unseren Wurzeln einen Platz im Jetzt und Heute zu geben. Deshalb auch meine häufigen Besuche des Museums, wo man die Vergangenheit spannend inszeniert hat.
Geöffnet ist das Museum täglich (außer montags) von 10-17 Uhr und der Eintritt ist mit 3 Euro wirklich günstig.
Also mein diesmonatiger Freizeittipp: Auf in dieses wunderbare Museum, dorthin wo Geschichte und Lebensgefühl der Vergangenheit wieder lebendig und interessant vermittelt werden. Ich bin sicher, die Ausstellungen werden Sie fesseln und begeistern!
Es grüßt Sie herbstlich
die R(h)eingeschmeckte
im farbenprächtigen Oktober 2015