Trechtingshausen

„Der Herbst ist der Frühling des Winters“ sagte einst der französische Maler Toulouse Lautrec, tja, und der Oktober unterstrich diese Äußerung mehrfach mit mai-ähnlichem Wetter, das nur unterbrochen wurde von sommerlichen Tagen, an denen das Thermometer über die 25 Grad-Marke stieg. Sommer mitten im Oktober? Genau! Diejenigen unter Ihnen, die meine Ausflugstipps schon länger verfolgen, werden feststellen, dass ich in den letzten Monaten immer und immer wieder von Wetterrekorden schreibe und in diesem Monat ist wiederum einer erreicht: Der Oktober 2022 gehört zu den wärmsten seit der Wetteraufzeichnung, d.h. seit 1881!


Die Gradzahlen stiegen und stiegen, je näher der November kam. Sehr irritierend dieser sommerliche Herbst, oder? Also, ich meine, es war schon sehr seltsam, kurz vor dem ersten Wintermonat sich auf der Terrasse zu sonnen, die Außengastronomie zu nutzen, die Wanderer in kurzen Hosen und T-Shirt am Haus vorbei laufen zu sehen, Grillgeruch in der Luft wahrzunehmen und den Garten wässern zu müssen.


Und bei diesem steten Sonnenschein konnte der Herbst mit seinem gewaltigen Farbenspiel umso mehr zeigen was er kann. Herbstleuchten war angesagt: Instrahlenden Farbmänteln in Rot-, Orange- und Gelbtönen, sind Bäume, Sträucher und Weinberge gehüllt. Was für ein eindrucksvoller Kontrast vor einem Himmel, der täglich herbstlich in klarem intensivem Blau erstrahlte.


Trechtingshausen lud ein, zum alljährlichen Kunst- und Genussmarkt. Mit Freude nahm ich die Einladung an, und wir machten uns auf in das Städtchen, von dem wir bislang nur die Hauptstraße kannten, die Bingen und Bacharach verbindet. Ehrlich gesagt, gab das Befahren der B 9 nicht den geringsten Anlass mal zu stoppen, um dem Ort Aufmerksamkeit zu schenken. Ein Fehler! Vom Auto aus bleiben einem die wahren Qualitäten von Trechtingshausen verborgen: Die malerischen gemütlichen kopfsteingepflasterten Gassen, der liebevoll gepflegte historische Ortskern, in dem die Zeit stehen geblieben scheint, erblickt man die zauberhaften Fachwerkhäuser.


Warum gibt es keine Hinweisschilder? So wie „Historische Altstadt“ oder so. Vielleicht hab ich sie die ganzen Jahre übersehen? Wäre der Kunst- und Genussmarkt nicht gewesen, wäre ich nie auf die Idee gekommen, das Städtchen zu googeln oder anzusehen. Klar habe ich die bekannten Schätze außerhalb des Ortskerns schon gesehen: Die mächtigen Burgen Rheinstein und Reichenstein sowie die Clemenskapelle, von der ich an dieser Stelle ja schon vor 2 Jahren erzählte. Naja, wie heißt es, besser spät als nie.


Trechtingshausen feiert in diesem Jahr sein 900-jähriges Jubiläum. In der ersten urkundlichen Erwähnung wurde der Ort Drodingishusen genannt, 1328 dann Dreieckshusen und 1335 kam mit Drechlingshausen dem heutigen Namen schon ziemlich nah. Oh mano, verfolgt man die geschichtlichen Ereignisse, so hat das Städtchen so einiges mitgemacht: Brutale Raubritter, jahrelange Pest, den 30-jährigen Krieg mit unfassbarem Elend und wütenden Flammen, die 35 Häuser vernichteten. Wenn Sie die Ortsgeschichte interessiert, dann besuchen Sie doch die großartig gestaltete Homepage https://trechtingshausen.welterbe-mittelrheintal.de. Ich habe dort auch schmunzelnd festgestellt, dass es ein „Trexhaiser Wörterbuch“ gibt, Trechtingshausen
(auch Trexiko genannt) also eine eigene Sprache hat…


Ich muss sagen, dass mich beim Besuch des Kunst- und Genussmarktes nicht nur die angebotenen Kunstwerke, Handarbeiten und hausgemachten Leckereien, wie Marmeladen und Gelees begeistert haben, sondern viel mehr auch die gepflegten urigen Gassen, Häuser und Innenhöfe, in denen sie feilgeboten wurden.


Die beschaulichen Gassen, in denen sich Fachwerkhäuser Tür an Tür schmiegen, laden zum Bummeln ein, eine Postkartenidylle, ein El Dorado für Hobbyfotografen, wie mich.
Ehrlich? Ich kam aus dem Staunen nicht heraus, Momente des Entzückens erlebte ich viele:
Zum Beispiel beim Anblick der Schmuckstücke aus dem 16. und 17. Jahrhundert in der Kirchgasse.


Ich nenne da jetzt mal das ehemalige Schul- und Rathaus (jetzt Heimatmuseum) und den ehemals katholischen Pfarrhof. Dann, in der Römerstraße, das einstige katholische Pfarrhaus, ein farbenfroher spätbarocker Bau aus dem Jahre 1756 und dann ein weiteres ehemaliges Pfarrhaus, ein villenartiger Heimatstilbau von 1913. Mit seinen blauen Fensterläden mein absoluter Favorit. Warum? Nun, das muss ich Ihnen mal erzählen: Ich habe einst geträumt, 3 Mio im Lotto zu gewinnen und in einem Haus mit blauen Fensterläden zu wohnen. Lach, und seitdem ich dieses traumhaft schöne Gebäude erblickte, keimt in mir die Hoffnung, dass mein Traum echt wahr werden kann…


Der Altstadtbesuch endete mit einer weiteren Überraschung, ja ich kann sagen, einem Sahnehäubchen: Von der einstigen Ortsbefestigung sind noch einzelne Mauerzüge, ein Turm und einige Tore erhalten, na, und als wir durch eines davon schritten, da lag ein Ort der Ruhe und Entspannung einladend vor uns: Das Rheinufer von Trechtingshausen! Was ein Ausblick!


So viele Orte am Rhein hab ich nun schon besucht, die mich nicht mehr loslassen. Trechtingshausen ist nun einer davon, ein wirklich außergewöhnliches Städtchen, dessen wundervolles Flair mich verzaubert hat.


Es grüßt eine - wie so oft -
begeisterte R(h)eingeschmeckte
im sommerlichen Oktober 2022






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